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Filmkritik
Alterswerke von Meisterregisseuren tendieren zu einer kraftvollen Einfachheit, wie von selbst inszeniert, gleichzeitig weise und jugendhaft, abgeklärt und voll Elan. So auch "Ran" (das japanische Wort für Chaos, Konfusion), den der 76jährige Akira Kurosawa fünf Jahre nach "Kagemusha" realisieren konnte. "Ran" ist die ins 16. Jahrhundert transponierte Version, Variation und Vision von Shakespeares "King Lear" (1605), inspiriert gleichermaßen an der Geschichte eines japanischen Feudalherren jener Zeit und an aktuellen Endzeitvisionen von Tod, Chaos und Untergang. Über die zunächst privaten Konflikte eines Herrscherhauses und seines Zerfalls hinaus gewinnt "Ran" eine überzeitliche Dimension und die Atmosphäre universeller Apokalypse - für sein, wie Kurosawa erklärte, letztes Werk eine düster-pessimistische Komponente, gäbe es nicht in der Schlußsequenz so etwas wie einen Hoffnungsschimmer.
Während eines Jagdausflugs, den er mit seinen Söhnen Taro, Jiro und Saburo, Gefolgsleuten und befreundeten Herrschern unternimmt, gibt der 70jährige Fürst Hidetora Ichimonji seine Absicht bekannt, die Regentschaft dem ältesten Sohn Taro zu übergeben und sich als Oberhaupt des Clans in einen Seitenflügel des Schlosses zurückzuziehen. Der jüngste Sohn Saburo, der die Schmeicheleien von Taro und Jiro als verlogen ansieht, rebelliert gegen die Entscheidung und wird von seinem Vater verbannt. Hidetora muß bald erfahren, wie recht Saburo hatte: er wird sowohl von Taro als auch von Jiro aus deren Schlössern getrieben. So wird er, der diese Ländereien und Besitztümer einst in blutigen Schlachten erkämpft hatte, der die Töchter der unterlegenen Fürsten zu Frauen seiner Söhne machte, von Besitz und Macht ausgeschlossen. In der Festung, die dem verbannten Sohn Saburo gehört, werden die ihm verbliebenen Elite-Soldaten von den Truppen Taros und Jiros blutig niedergemetzelt. Taro wird aus dem Hinterhalt erschossen. Hidetora sinkt in geistige Umnachtung und irrt durch das Land, begleitet von seinem Narren. Unterschlupf finden sie in den Ruinen des Palastes, den Hidetora einst zerstört, und Gastfreundschaft bei Tsurumaru, den er einst geblendet hatte. Auch Jiros Frau Sue, Tsurumarus Schwester, findet sich ein, weil Kaede, die Frau Taros, die mit ihren Intrigen weiteres Unheil über die Familie bringt, inzwischen Jiro für sich gewonnen hat und Sue töten lassen will. In dieser Situation besinnt sich Saburo, seinen Vater zu retten. Jiro greift Saburos Truppen an und wird vom Fürsten Fujimaki, Saburos Schwiegervater, in einen Hinterhalt gelockt, womit der Niedergang der Ichimonjis vollendet ist. Saburo hat seinen Vater gefunden, doch auf dem Heimritt wird er hinterrücks von Jiros Leuten erschossen. Hidetora bricht an seiner Leiche das Herz.
"Ran" endet mit einer Sequenz, in der als winziger Hoffnungsschimmer in dieser Welt totaler Düsternis der blinde Tsurumaru auf einen Abgrund zuläuft, aber an dessen Rand stehenbleibt. Damit wird einer Überlebensymbolik Rechnung getragen, in der im Verlauf des Films nur Unschuldige, Narren und Blinde aufgehoben waren. Sie allein, scheint Kurosawa anzudeuten, bleiben verschont von jenem kontinuierlichen Kampf um die Macht, dem sich die Menschheit ausgeliefert sieht und der auch vor Familienbanden nicht zurückschreckt. Im Gegenteil: In Kaede hat Kurosawa, der der Traditionen Japans wegen aus den drei Töchtern von König Lear drei Söhne gemacht hat, eine Figur erfunden, die wie Lady Macbeth als macchiavellistische Dämonin die Macht vom Hintergrand her ausspielt und, aus Rache für ihre Familie, die Ichimonjis von innen her aushöhlt. Der Geist der Elisabethanischen Rachetragödie, deren blutrünstige Intrigen in der Geschichte Japans ein Pendant finden, verbindet sich in Kurosawas Macht-Parabel mit einer Reflexion über ethisches Verantwortungsgefühl. Beinahe jedem geht dies in "Ran" ab, bis auf den Narren, der Hidetora noch begleitet, als der längst vom Wahn befallen ist und in diesem geistigen Rausch seine Verantwortung (zu spät) erkennen lernt. Die hat mit der Einsicht in die Macht des Schicksals und mit dem Verlangen nach Erkenntnis jene Suche nach Wahrheit gemein, die "Ran" als Verlängerung von "Rashomon" ( (fd 1875), 1950) und "Kagemusha" ausweist. Die Söhne des Fürsten haben keine Identität und sehen die Wahrheit nicht, so wie Hidetora die Wahrheit nicht mehr sieht, als er abdankt: Aus dem Berg wird ein Wanderer, die Wahrheit wird relativ. Diese Relativität allen Seins setzt Kurosawa in der Metapher der mißglückten Pfeilprobe ein, in der Symbolik sich öffnender und schließender Türen und in eine expressive Bildsprache um, deren Farbdramaturgie von japanischer Tuschmalerei und Pastelltönen, surreal verfremdeten Landschaften und Signalfarben ausgeht. Er erstellt eine Palette, ein Panorama von Farben, die im jeweiligen Gelb, Rot und Blau den Truppen Taros, Jiros und Saburos ihre Identität geben und sich in Schlachten auflösen, deren Wucht und virtuose Montage nur von Orson Welles` "Falstaff" (1965, die Schlacht von Shrewsbury) übertroffen wird.